Steg und Stimmstock

Beispiel 1: Domenico Montagnana

„Mit den Klangfarben meiner Geige kann man wirklich zaubern...“, schwärmte der Solist, als er mir vor einiger Zeit seine ‚Domenico Montagnana‘ (1729) vorführte. Über zehn Jahre hatte diese phantastische venetianer Geige Kolja Blacher als Konzertmeister der Berliner Philharmoniker gespielt. Nun war sie in Händen von Alban Beikircher, dem Primarius des Arion-Quartetts. Beim Hineinhören in die dunklen warmen Farben dieser Geige kam ich sehr schnell an jenen heiklen Punkt solch einer ersten Kundenbegegnung: Soll ich, darf ich Kritik am Klang des Instrumentes äußern...?

„Bei aller Tiefe und Modulierbarkeit dieser phantastischen Geige - das Instrument ist nicht ausreichend belastbar – vor allem auf der g-Saite. Dies ist bei Brahms deutlich wahrnehmbar...“ Um an dieser Stelle eine längere Diskussion mit vielen musikalischen Passagen etwas abzukürzen – die Geige blieb in der Werkstatt. Der Geiger wusste von der verborgenen Schwäche des Instrumentes: „Es stimmt. Die Geige ist immer ‚hopp oder topp‘. Gerade bei meiner Brahms-Tournee, wo ich „gegen das ganze Orchester“ spielen und bis ans Limit des Instrumentes gehen muss, macht mich das manchmal schon fertig...“

Was Alban Beikircher mit „hopp oder topp“ ausdrückte, war wissenschaftlich der sog. Flattening-Effekt. Die Klangaufnahmen, die wir mit dem aktuellen Setup (Steg und Stimmstock) aufzeichneten, bestätigten diesen Effekt. Auf der nachfolgenden Aufnahme ist dieser Effekt deutlich hörbar: Wird das Instrument im fortissimo bis an die Grenze belastet, geschieht es immer wieder völlig unerwartet, dass der Ton in seiner Intonation einbricht und nach unten verschoben wird, obwohl die linke Hand ihn richtig intoniert.

Nach zwei Tagen konnte das Instrument mit neuem Steg und neuem Stimmstock seinem Besitzer ausgehändigt werden – und der Flattening-Effekt war behoben. Besonders der Steg gestattet es dem Geigenbauer, die Belastbarkeit des Instrumentes zu justieren. Neben einer erhöhten Belastbarkeit wurde dadurch ebenfalls die Brillanz der e-Saite erhöht.

Im Resonanzprofil des Instrumentes werden die Unterschiede der beiden Klangeinstellungen sichtbar. Bei dieser Analysemethode wird durch ein eigens entwickeltes Impulsverfahren der „akustische Fingerabdruck“ des Instrumentes aufgezeichnet (zum technischen Hintergrund dieser Messmethoden, siehe Schallanalyse). Sämtliche Resonanzen des Instrumentes werden gleichzeitig zu Schwingungen angeregt und in ihren akustischen Schalleigenschaften analysiert.

Beispiel 2: Vincenzo Sannino

Nachfolgend ist die beispielhafte Klangeinstellung durch die Anfertigung eines neuen Stimmstocks und Steges einer Geige dargestellt. Es handelte sich dabei um ein Instrument des hervorragenden modernen Neapolitaner Meisters Vincenzo Sannino (1870 – 1969). Die Geigerin des Bayerischen Rundfunksinfonieorchesters beklagte den zu wenig fokussierten, zu wenig klaren Klang und äußerte die Ansicht, das Instrument habe noch mehr Kraft; sie habe den Eindruck, es sei nicht das volle Potential ihrer Geige ausgeschöpft.

Die nachfolgenden Analysen der Schallabstrahlung ließen erkennen, dass die Hauptkorpusresonanzen des Instrumentes in ihrem Schwingungspegel vermutlich noch zu erhöhen sind. Ferner zeigte sich, dass es wünschenswert wäre, eine Anhebung des hochfrequenten Brillanzbereiches zu erreichen, denn dieser wirkt sich auf den „Focus“ und die Klarheit des Tones maßgeblich aus.

Als „Therapiemaßnahme“ wurde in der „Klangpraxis“ des MEISTERATELIER FÜR GEIGENBAU MARTIN SCHLESKE ein anderer Stimmstock positioniert, ein anderer Steg geschnitten, sowie geringfügige Änderungen von Griffbrett und Saitenhalter vorgenommen. Die nachfolgende Abbildung zeigt den alten und neuen Steg, sowie anschließend die erfolgreiche „Klangtherapie“.

Das klangliche Ergebnis war - wie die Geigerin und einige ihrer Kollegen attestierten – „in jeder Hinsicht eine enorme Verbesserung“. Das Resonanzprofil (A) zeigt die Schallabstrahlung des Instrumentes vorher (schwarz) und nachher (rot). Durch die sog. energetische Mittelung in Halbtonintervallen lässt sich das treppenartige Balkendiagramm (B) der Schallabstrahlung vorher-nachher darstellen. Anschaulich wird dieser Vergleich durch das Differenzdiagramm (C). Hier ist der Pegelunterschied zwischen vorher und nachher dargestellt: Die nach oben gerichteten roten Balken zeigen (bei chromatischer Auflösung) diejenigen Bereiche (in dB bzw. Dezibel) an, an denen nach der Klangeinstellung größere Pegel (Schalldruck p im Verhältnis zu anregender Kraft F) erzeugt werden als zuvor. Die nach unten gerichteten grauen Balken zeigen jene Bereiche, an denen vor der Klangeinstellung größere Pegel abgestrahlt wurden.

Kontrolle der Klangeinstellung durch Analyse der Schallabstrahlung. Oben ist das Resonanzprofil vor der Klangeinstellung (schwarz) im Vergleich zu nachher (rot) dargestellt. Das Balkendiagramm in der Mitte zeigt das Resonanzprofil mit chromatischer Auflösung (Halbtonpegel als Balken). Die Pegeldifferenz vorher-nachher ist im untersten der drei Diagramme sichtbar.

Die Veränderung wirkt sich vor allem auf die Klangfarbe des Instrumentes aus. Der neue Stimmstock und Steg brachten eine (mit +4dB!) deutliche Erhöhung der Pegel der Hauptkorpusresonanzen. (beachte: +3dB ist eine Verdopplung der Schall-Leistung) , sowie der Pegel im Brillanzbereich. Der (störende) Nasalbereich wurde leicht unterdrückt. Der energetisch gemittelte Pegel der Gesamtabstrahlung wurde um +1dB angehoben.

Diese Diagnose lässt folgende vier klanglich wesentliche Merkmale bzw. Veränderungen erkennbar werden:

  • der Bereich der Helmholtzresonanz wurde verbreitert. Diese Maßnahme, welche durch die Änderung von Griffbrett und Steg bewerkstelligt wurde, kommt v.a. der Kraft und Sonorität der g-Saite zugute. Ferner ist
  • auffällig, dass die Pegel der Korpusresonanzen um einen starken Pegelgewinn von 4dB erhöht werden konnten. Diese Hauptresonanzen, die im Grundtonbereich der a-Saite liegen, erzeugen durch die genannten Werkstattmaßnahmen einen kraftvolleren, „runderen“ und „volleren“ Ton. Schließlich ist
  • erkennbar, dass der hochfrequente Brillanzbereich des Resonanzprofils in seiner akustischen Stärke angehoben werden konnte. Dadurch gewinnen die hohen Obertöne des gesamten Spielbereiches zusätzliche Brillanz. Sie können nun durch das ff-Spiel in unmittelbarer Stegnähe wie eine „versteckte Reserve“ des Instrumentes eingesetzt werden. Ferner wirken sie sich durch den geänderten Höreindruck auf eine subjektive Verbesserung der Ansprache aus. Die Geigerin stellte nach der erfolgten Klangeinstellung sofort fest, die Geige sei nun auch „wesentlich einfacher direkt am Steg spielbar“ und spreche deutlich besser an. Durch die hiermit verstärkten „Resonanzreserven“ im Brillanzbereich des Instrumentes wird darüber hinaus an Modulierbarkeit gewonnen. Denn die bogentechnischen Veränderungen des Musikers (weiches Spielen am Griffbrett – harte Attacke unmittelbar am Steg etc.) wirken sich aufgrund der neuen Klangeinstellung nun klanglich deutlicher aus als zuvor.
  • darüber hinaus wurde der Nasalbereich (der bei zu starker Gewichtung im Resonanzprofil für einen engen näselnden Ton sorgt) durch die neue Klangeinstellung leicht unterdrückt. Es sollte erwähnt werden, dass ein übertriebenes Unterdrücken des nasalen Bereiches sich ebenso ungünstig auswirkt wie ein zu starkes Hervorheben dieses Bereiches: Werden im Nasalbereich vergleichsweise zu starke Schallleistungsanteile abgestrahlt, so erhält die Geige einen penetranten, trompetenhaften, ordinären, wenig formbaren Ton. „Alles klingt gleich, egal, was man mit dem Instrument macht...“ Wird dieser für das menschliche Ohr sehr empfindliche Nasalbereich dagegen zu stark unterdrückt, wird der Klang der Geige matt, kraftlos, „wie unter einer Decke.“

Auch dies zeigt: Die hohe Kunst des Geigenbauers, der sich an das Gebiet der qualifizierten Klangeinstellung heranwagt, ist die rechte Balance zwischen den unterschiedlichen Resonanzbereichen des Instrumentes. (Im „Handbuch der Geigenakustik“ finden Sie unter dem Thema Klangfarbe und Resonanzprofil ein anschauliches Experiment, das die Bedeutung des Resonanzprofils auf die wahrgenommene Klangfarbe demonstriert.)