Glossar

Im folgenden Abschnitt beschreibe ich einige „akustische Stichworte“, die für das Verständnis der Akustikforschung an Geigen wesentlichen sind.

Stichwort: Der Unterschied zwischen Klang und Akustik

Akustische Analyse eines Instrumentes. Hier: Modalanalyse eines Cellos von Domenico Montagnana (1740).

Die Begriffe Klang und Akustik müssen streng unterschieden werden. Akustik ist eine Teildisziplin der Physik. Sie kann daher in einer physikalischen Sprache beschrieben werden, etwa durch Begriffe wie Schwingungsform, Frequenz, oder Schalldruckpegel.

Klang ist keine physikalische, sondern eine ästhetische Größe. Ästhetik gehört in den Bereich der Empfindungen. Obwohl Klang seine Ursache stets in akustischen Vorgängen hat, kann die Empfindung und Qualität von Klang nicht in der Sprache der Physik beschrieben werden. Ursache und Wirkung müssen also unterschieden werden.

Bei der Akustik geht es um ein intellektuelles Erkennen. Hier arbeite ich als Forscher in meinem Labor. Hier benutze ich Werkzeuge wie die Modal- und die Spektralanalyse. Beim Klang dagegen geht es um ein ästhetisches oder existentielles Erkennen. Hier vertiefe ich mich als Geigenbauer in den Klang, den meine Kunden im Atelier hörbar machen. Das einzig brauchbare Werkzeug sind hier die Ohren.

Wenn Klang gleichnishaft ein Gemälde ist, dann ist die Akustik vergleichbar mit einer technischen Analyse der Farben dieses Bildes. Natürlich hat das Bild seine Ursache in einer bestimmten Verteilung von Farben. Doch es wäre absurd zu meinen, mit einer bloßen Analyse des Spektrums oder der Häufigkeitsverteilung der Farben könne die ästhetische Qualität und der künstlerische Gehalt eines Bildes erfasst werden.

Die Akustik beantwortet nicht die Frage, ob der Klang einer Geige „schöner“, „edler“, usw. als der einer anderen Geige ist. Die Frage nach dem Klang kann nur durch Hören und Empfinden beurteilt werden.
Wozu dann aber akustische Analysen? Sie machen die akustischen Ursachen für den wahrgenommenen Klang sichtbar. Die Herstellung hochwertiger zeitgenössischer Konzertinstrumente kann in einer revolutionären Weise qualifiziert werden, wenn mit Hilfe akustischer Analysemethoden objektive akustische Unterschiede etwa zwischen einer Stradivarius und einer einfachen Schülergeige sichtbar werden.

Diese Unterschiede sind in den Resonanzen der Instrumente begründet.

Stichwort: Resonanzen und Resonanzprofil

Übertragungsfunktion der Schallabstrahlung von vier berühmten Cremoneser Geigen. „Schreiber“-Stradivari (rot); Stradivarius 1727 (blau); Carlo Bergonzi‘ (violett); ‚Guarneri del Gesù‘ (schwarz).

Das Resonanzprofil ist das akustische Persönlichkeitsprofil der Geige. Die akustische Persönlichkeit des Instrumentes wird bestimmt durch sein akustisches „Eigenleben“: die Resonanzen. Warum kann hinsichtlich der Resonanzen vom „Eigenleben“ des Instrumentes gesprochen werden? Die Resonanzen sind im Gegensatz zu „erzwungenen“ Schwingungen nicht abhängig von der äußeren Anregung. Sie sind eine feste akustische Eigenschaft der Struktur (Geige). Darum werden sie als „Eigenschwingungen“ bezeichnet. Sie können vom Musiker nicht verändert werden. Während des Musizierens kommuniziert der Musiker unentwegt mit den Resonanzen (also den akustischen Eigenschaften) seines Instrumentes. Sie sind sein Gegenüber.

Was für den Maler das entstehende Bild ist, ist für den Musiker die Entfaltung der Komposition. Die Farben des Malers auf seiner Palette sind für den Musiker die Resonanzen seines Instrumentes. Mit den Resonanzen kann er den „Klang malen“. Resonanzen (Eigenschwingungen) sind verantwortlich für die Klangfarben und die „Leuchtkraft“ (Tragfähigkeit) des Instrumentes.

Stichwort: Schwingungsformen und Schallabstrahlung

Die typischen tieffrequenten Eigenschwingunsformen. Hier: Korpusresonanzen einer Geige von Antonio Stradivari.

Die Eigenschwingungen der Geige sind vollkommen unabhängig vom Musiker. Er kann keinen Einfluss auf sie nehmen. Der Musiker hat lediglich Einfluss auf die schwingende Saite. Wie die schwingende Saite dann mit den Eigenschwingungen des Korpus „kommuniziert“, kann vom Musiker nicht beeinflusst werden. Der Musiker nimmt diese hochkomplexe Kommunikation aber wahr und geht durch Änderung von Vibrato, Fingerdruck, Bogengeschwindigkeit, Bogendruck, Kontaktstelle auf der Saite usw. ständig darauf ein: Er „formt“ den Klang. Er spürt, ob er „in den Ton hineinkommt“, ob er ihn formen und modulieren kann.

Wenn die Saite gestrichen wird, „hört die Geige“ diese Saitenschwingungen. Sie regen den Korpus dazu an, in seinen Eigenschwingungen zu schwingen. Die Schwingungsbewegungen von Decke und Boden schwingen nun periodisch gegen die umgebenden Luftmoleküle. Dadurch verdichten und verdünnen sie die Umgebungsluft. Diese Verdichtung und Verdünnung (Über- und Unterdruckschwankungen der Luft) breitet sich als Druckwelle vom Instrument aus: Es entsteht Schall. So sind also diese Schwingungsbewegungen (Schwingungsformen) von Decke und Boden der Geige die eigentliche Ursache für die Schallabstrahlung des Instruments.

Eine Geige hat sehr verschiedenartige Eigenschwingungen. So existieren bei tiefen Frequenzen (also geringer Schwingungsanzahl pro Sekunde) Eigenschwingungen, bei denen Decke und Boden der Geige mit sehr großflächigen Schwingungsbereichen ausgelenkt werden. Bei hohen Frequenzen (große Schwingungsanzahl pro Sekunde) unterteilen sich Decke und Boden zunehmend in kleine gegeneinander schwingende „Schwingungsinseln“. Die Schwingungsformen lassen sich mithilfe der Modalanalyse messen und sichtbar machen. Jede Geige weist eine individuell unterschiedliche Anzahl und Form von Eigenschwingungen auf. Sie sind so etwas wie der individuelle Fingerabdruck einer Geige.

Welche individuellen Eigenschwingungen ein Instrument ausbildet, hängt von seiner Konstruktion (Modell, Wölbungen, Plattenausarbeitung, etc.) und den Materialeigenschaften (Elastizität und Dichte des Holzes, Behandlung durch Grundierung und Lack, etc.) ab. Details siehe Konstruktionsanalyse sowie Holz-und Lackanalyse.

Stichwort: Harmonische Pegel

Die Schallanalyse von Geigen, Bratschen und Celli. Farbige Landkarten machen die harmonischen Pegel sichtbar. Entwicklung dieser Analysemethode im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske.

Die harmonischen Pegel eines gespielten Tones sind die Werte der Schallpegel von Grundton und zugehörigen Obertönen. Wenn sämtliche Grundtonpegel einer chromatischen Tonleiter nebeneinander aufgezeichnet werden und darüber sämtliche diesen Grundtonpegeln zugehörigen Obertonpegel, dann entsteht eine „Landkarte“ mit Bergen und Tälern. Werden nun diese Berge und Täler mit farbigen Höhenschichtlinien dargestellt, so entsteht ein farbiges Konturdiagramm. Jedes Instrument zeichnet aufgrund seines individuellen Resonanzprofils seine eigene unverwechselbare farbige Landkarte.