Methode

Vergleich der Schallabstrahlung verschiedener Geigen (Stradivari, Guarneri del Gesù, Carlo Bergonzi). Räumliche Darstellung der Schallabstrahlung. Erläuterung der Meßmethode.

Das im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske entwickelte Verfahren zur Bestimmung der Schallabstrahlung von Geigen beruht auf folgenden Schritten:

  1. Räumliche Messung des abgestrahlten Schalls
  2. Energetische Mittelwertbildung: Resonanzprofil des Instrumentes
  3. Bestimmung der Pegel der Harmonischen aller spielbaren Töne
  4. Darstellung der Erregung der Basilarmembran (Innenohr)

Die Messung des abgestrahlten Schalls basiert auf einer zweikanaligen Fouriertransformation. Es wird das Verhältnisses von abgestrahltem Schalldruck (p) und anregender Kraft (F) bestimmt. Die analysierten Größen werden absolut dargestellt. Beide Größen (p und F) sind frequenzabhängig. Diese Frequenzabhängigkeit wird üblicher Weise als eine Funktion, also als eine Diagrammkurve, dargestellt. Am Verlauf der Kurve lässt sich für jede dargestellte Frequenz (x-Achse) der Übertragungsfaktor von p/F („Stärke der Schallabstrahlung“) ablesen (y-Achse). Man nennt diese Kurve daher eine sog. Übertragungsfunktion.

Zur Abbildung: Übertragungsfunktion der Schallabstrahlung vierer berühmter Cremoneser Geigen, deren Konstruktion und Akustik im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske analysiert wurde. Die Korpusresonanzen der „Schreiber-Stradivari“ (rot) ähneln den Resonanzen der „Carlo Bergonzi“(violett) mehr als denen der zweiten Stradivarius 1727 (blau). Ebenso weist das Resonanzprofil stärkere Ähnlichkeiten zwischen der Stradivarius 1727 und der „Guarneri del Gesù 1737“ (schwarz) auf als zwischen den beiden Stradivaris.

Zur Abbildung: Anregungsmimik (Stativ mit kugelgelagertem Hammerpedel). Instrument: P.J. Hel (Lille)

Die Messung der für die Übertragungsfunktion erforderlichen physikalischen Größen (anregende Kraft F und abgestrahlter Schalldruck p) erfolgt, mit Hilfe der auf nachfolgender Abbildungen ersichtlichen Anregungsmimik: Das mit dem Schalldruckpegelmesser verbundene Messmikrophon ist auf einem Stativarm um das am Hals durch eine Federklemme befestigte Instrument drehbar gelagert. Die Kraft wird über ein (in der Modalanalyse üblichen) Miniatur-Impulshämmerchen an der Stegoberkante in Bogenstrichrichtung in das Instrument eingeleitet.

Die auf diese Weise gemessene und durch Fouriertransformation berechnete Übertragungsfunktion wäre noch keine umfassende Darstellung der Schallabstrahlung des Instrumentes. Der Grund dafür ist die stark richtungsabhängige Abstrahlcharakteristik des Instrumentes: Die Geige strahlt den Schall nicht in alle Raumrichtungen gleichmäßig ab. Der Kurvenverlauf der Übertragungsfunktion hängt daher stark davon ab, in welcher Richtung und an welcher Stelle im Raum die Messung durchgeführt wird. Um ein repräsentatives Ergebnis für den tatsächlich vom Instrument abgestrahlten Schall zu bekommen, muss daher eine große Anzahl von Übertragungsfunktionen in unterschiedlichen Raumrichtungen gemessen werden. Diese Übertragungsfunktionen werden dann sinnvoller Weise nicht mehr als einzelnen Kurven, sondern als farbige „Landkarte“ dargestellt.

Die nachfolgenden Abbildungen stellen solche „Landkarten der Schallabstrahlung“ dar. Hierbei wird als Farbwert die Stärke des Pegels p/F (dB) aufgetragen (rot=starker Pegel, blau=schwacher Pegel). Die x-Achse repräsentiert wieder die Frequenz. Auf der y-Achse wird nun aber der Abstrahlwinkel (Kreis um das Instrument mit „Kreisachse“ in Richtung des Geigenhalses; Höhe des Kreises auf Mensurhöhe) um das Instrument aufgetragen: 0° und 360° entsprechen dabei der Richtung senkrecht zur Decke, 180° senkrecht zum Boden.

Verfolgt man auf diesem Konturdiagramm den Farbverlauf in horizontaler Richtung, so zeigt die Farbänderung die Frequenzabhängigkeit der Schallabstrahlung (bei einem einzelnen Abstrahlwinkel) an. In vertikaler Richtung wird durch die Farbänderungen die Richtungsabhängigkeit (bei einer einzelnen Frequenz) erkennbar.

Wenn also ein vertikaler Farbstreifen seine Farbe nicht verändert, dann heißt dies, dass bei dieser Frequenz eine richtungsunabhängige Schallabstrahlung gegeben ist. Dies ist grundsätzlich nur im tieffrequenten Bereich (links) gegeben. Deutlich erkennbar ist dagegen, dass im hochfrequenten Bereich eine deutliche Zerklüftung der Schallabstrahlung einsetzt: die Resonanzen „feuern“ hier den Schall in einzelne Raumrichtungen stärker als in andere. Hierin liegt die wesentliche Ursache für die „Lebendigkeit“ und die „Räumlichkeit“ des Klanges. Die Zerklüftung und Resonanzstärke in diesem Frequenzbereich (zahlreiche kleine „Farbinseln“) veranschaulicht, wie sehr das Instrument es dem Musiker erlaubt, durch Vibrato- und Bogenstrichänderungen mit diesem richtungsabhängigen, räumlichen „Feuern“ der Resonanzen zu „spielen“.

Diese Landkarten der Schallabstrahlung erlauben, klangliche Unterschiede zwischen verschiedenartigen Instrumenten anschaulich zu machen. Darüber hinaus können (etwa im Fall der Restauration oder Klangeinstellung) verschiedene Zustände ein- und desselben Instrumentes miteinander verglichen werden. Dadurch lassen sich Rückschlüsse auf die klangliche Wirkung vorgenommener Veränderungen (Ausarbeitung; Stimmstockverschiebung; Steg; etc.) ziehen.

Die nachfolgende Abbildung zeigt, dass sich aus solch einer Landkarte der Schallabstrahlung zahlreiche charakteristische Merkmale ableiten lassen. Es handelt sich bei dem dargestellten Instrument um eine Analyse des „Isserlis“-Montagnana Cellos aus dem Jahre 1740. Unter dem farbigen Konturdiagramm ist das Resonanzprofil der Schallabstrahlung dargestellt. Es ergibt sich aus energetischer Mittelung um sämtliche Raumwinkel. Die Höhen der einzelnen Resonanzspitzen im Resonanzprofil sind damit ein Maß für die Stärke der Schallabstrahlung. Der jeder Resonanzspitze vertikal zugehörige Farbstreifen wiederum ist ein Maß für die räumliche Richtcharakteristik der jeweiligen Spitze. Sowohl Stärke der Schallabstrahlung als auch Richtcharakteristik resultieren aus der zugehörigen Schwingungsform einer jeden Resonanz. (Bedeutung und Meßmethode der Schwingungsformen wurden an anderer Stelle beschrieben: s. Modalanalyse).

Unterhalb des grauen Resonanzprofils sind zur Veranschaulichung sieben Schwingungsformen des Instrumentes dargestellt – die Ansicht auf die Decke (jeweils links) und auf den Boden (jeweils rechts) ist von außen; graue Ringe sind Höhenlinien der Amplituden; schwarz-graue Bereiche schwingen mit einer Phasenverschiebung von 180° entgegengesetzt zu den weiß-grauen Bereichen. Die blau gestrichelten Linien verweisen auf die Resonanzspitzen, denen sie zugeordnet sind. Die beiden tiefen Hauptkorpusresonanzen T1 und B1 bewirken gleichermaßen eine starke Schallabstrahlung. Daß bei der T1-Resonanz die großflächigen Deckenamplituden im Bereich des Bassbalkens stärker sind als die Bodenamplituden zeigt sich auch quantitativ am Farbverlauf des zugehörigen vertikalen Farbstreifens der Schallabstrahlung. Besonders deutlich ist dies bei der Plattenresonanz mit 440Hz, hier liegt die maximale Schallabstrahlung in Richtung der stark schwingenden Decke um etwa 10dB über der in Richtung des Bodens. Tatsächlich weist das Cello natürlich eine wesentlich größere Zahl als die sieben hier dargestellten Schwingungsmoden auf: Im Bereich bis 1500Hz wurden 61 einzelne Moden gemessen. Jede dieser Schwingungsmoden hat ihren eigenen Charakter hinsichtlich Frequenz, Schwingungsform, Dämpfung, Abstrahlstärke und Richtcharakteristik. Das Zusammenspiel dieser vielen Moden bestimmt den akustischen Charakter des Instrumentes.

Oben: „Landkarten der Schallabstrahlung“ eines Cellos von Domenico Montagnana (1740) „Isserlis“.
Auf der x-Achse ist die Frequenz (Hz) aufgetragen, die y-Achse repräsentiert den Richtungswinkel: 0°=senkrecht zur Deckenebene (Normalenrichtung); 90° parallel zur Deckenebene und senkrecht zum Hals in Richtung Bassbalkenseite; 180° senkrecht zur Bodenebene (Normalenrichtung); 270° parallel zur Deckenebene und senkrecht zum Hals in Richtung Stimmstockseite. Die Farbskala zeigt den Schallpegel dividiert durch die anregende Kraft. Beachte: Absolutwert (re 1Pa/N) in dB=Legendenfarbwert (dB) + 76dB.
Verfolgt man auf diesen Konturdiagramm den Farbverlauf in horizontaler Richtung, so erkennt man durch die Farbänderung die Frequenzabhängigkeit der Schallabstrahlung (bei einem einzelnen Abstrahlwinkel) an. In vertikaler Richtung wird durch die Farbänderungen die Richtungsabhängkeit (bei einer einzelnen Frequenz) erkennbar.

Mitte: Energetisch gemitteltes Resonanzprofil der Schallabstrahlung

Unten: Schwingungsformen einiger Moden. Sie zeigen die Schwingungen des Instrumentenkorpus und sind die Ursache für die erzielte Schallabstrahlung.

Die Schallanalyse des ‚Montagnana‘ macht u.a. folgende charakteristischen akustischen Merkmale sichtbar:

Die Helmholtzresonanz (Luftresonanz: Die in den ff-Löchern befindliche Luft schwingt auf dem Luftkissen der im Korpus eingeschlossenen Luft): Der Pegel dieser tiefsten Hauptresonanz des Cellos (knapp unter 100Hz) liegt senkrecht (0°) zur Deckenebene (max. Pegel) um knapp 10dB über dem minimalen Pegel senkrecht (180°) zur Bodenebene.

Die Abstrahlung einer Hauptkorpusresonanz bei 217Hz ist relativ richtungsunabhängig, während eine Korpusresonanz bei 194Hz eine starke Richtungsabhängigkeit aufweist. Hier liegt das Maximum mit 105dB im Bereich der Richtungswinkel 0...90°, also in Richtung der Decke auf der Bassbalkenhälfte, während das Minimum mit 77dB bei einem Richtungswinkel von 150° in Richtung des Bodens (ebenfalls auf der Bassbalkenseite) liegt.
Im Oktavbereich zwischen 200...400Hz weist das Cello zahlreiche sehr wirksam und weitgehend richtungsunabhängig strahlende Resonanzen auf (erkennbar durch starke, d.h. rot-orange-farbene und gleichbleibende vertikale Streifen).
Im Resonanzbereich 400...1000Hz setzt eine zunehmende Bildung von „Richtungskeulen“ mit richtungsabhängigen Pegelunterschieden von teilweise über 20dB ein.

Der Resonanzbereich zwischen 1000...3000Hz ist durch unzählige kleinere „Pegelinseln“ innerhalb der Schall-Landkarte gekennzeichnet. Aufgrund der großen Gipfelsteilheit der Resonanzspitzen (geringe Resonanzdämpfung) sind die Pegel der Obertöne, die in diesen Resonanzbereich fallen, stark vibratoabhängig. Dies hat eine große „Lebendigkeit“ und „Formbarkeit“ der gespielten Töne zur Folge.

Oberhalb von 3kHz setzt eine starke Tiefpaßfilterwirkung ein. Dieser steile Pegelabfall im Bereich um 3000Hz ist klanglich äußerst wünschenswert, um einen zwar „samtigen“ bzw. – wie einige Musiker sagen „italienisch-sandigen“, jedoch keinesfalls zu scharfen Ton zu ermöglichen.

Im energetischen Mittel liegt die Gesamtabstrahlung (Mittelung über alle Frequenzen) in Richtung der Decke (Richtungswinkel 270...90°) um knapp 2dB über der Abstrahlung in Richtung des Bodens (Richtungswinkel 90...270°)
Die räumliche Schallabstrahlung des Instruments lässt sich darüber hinaus für beliebige Frequenzen einzeln darstellen. Dazu wird zweckmäßig die Form des Netzdiagrammes gewählt. Die in der oben dargestellten farbigen Landkarte der Schallabstrahlung enthaltene Information ist in folgender Abbildung in Form von Richtdiagrammen (Pegel in Abhängigkeit vom Richtwinkel) für zahlreiche Resonanzspitzen wiedergegeben. Auch hier werden die genannten Charakteristika augenfällig (Richtungsmaxima, Richtkeulen etc.).

Zur Abbildung: Richtdiagramme der Schallabstrahlung für einige Resonanzfrequenzen eines Cellos von Domenico Montagnana (1740). Jede Resonanz ist mit einer eigenen Linie repräsentiert (4 Resonanzen je Einzeldiagramm). Der radiale Abstand vom Mittelpunkt steht für den Absolutwert des Schallpegels (re 1Pa/N) in dB. Die Winkelkoordinate des Vollkreises beschreibt – wie auch bei den farbigen „Landkarten“ der Schallabstrahlung - den Messpunkt um das Instrument (0°=senkrecht zur Deckenebene (Normalenrichtung); 90° parallel zur Deckenebene und senkrecht zum Hals in Richtung Bassbalkenseite; 180° senkrecht zur Bodenebene (Normalenrichtung); 270° parallel zur Deckenebene und senkrecht zum Hals in Richtung Stimmstockseite).

Beachte die eher kugelförmige Schallabstrahlung bei tiefen und die starke zerklüftete Abstrahlung bei höheren Frequenzen.

Die zwei nachfolgenden farbigen akustischen Landkarten zeigen die Schallabstrahlung folgender Geigen:

  1. Antonio Stradivari, 1712 (links)
  2. einfache Studentengeige, ca. 1900 (rechts)

Die vergleichsweise deutlich höheren Schallanteile der Stradivarius im tieffrequenten Bereich (200...600 Hz) und die höheren Schallanteile der Studentengeige im Nasalbereich (1000...1600 Hz) werden durch Vergleich der Farbskalenwerte sofort ersichtlich.

Auch hier sind die Richtcharakteristika einzelner Resonanzspitzen durch Netzdiagramme darstellbar. Die folgende Abbildung zeigt die „akustische Landkarte“ einer Guarneri del Gesù, dargestellt als entsprechendes Netzdiagramm:

Zur Abbildung: Schallabstrahlung einer Geige von Guarneri del Gesù 1733: Pegel aus dem Verhältnis von Schalldruck p zu anregender Kraft F in Abhängigkeit vom Abstrahlwinkel (Richtcharakteristik) um das Instrument. Dargestellt ist die Richtcharakteristik für 20 Einzelfrequenzen. Gewählt wurden die Frequenzen der Schwingungsmoden im Bereich 211...3295 Hz. Es wird sofort erkennbar, dass die tieffrequenten Moden durch eine kugelförmige Abstrahlcharakteristik gekennzeichnet sind, während die höherfrequenten Moden ab etwa 1000 Hz zunehmend mehr oder weniger starke „Richtkeulen“ aufweisen. Diese starke Zerklüftung ist für die musikalische Lebendigkeit des Tones von großer Bedeutung.