Psychoakustik

Übergang von physikalischen Größen zu psychoakustischen Größen. Darstellung der Schallabstrahlung von Streichinstrumenten durch farbige „Landkarten“ der Erregungsmuster des Innenohres: spezifische Lautheit (nach MOORE) in Abhängigkeit von der Frequenzgruppe (ERB) bei chromatischer Anregung des Instrumentes. Darstellungen am Beispiel einer Geige von Guarneri del Gesù (1733) und eines Cellos von Domenico Montagnana (1740).

Unser letzter Analyseschritt der Schallanalyse von Streichinstrumenten hat zum Ziel, die gemessene Schallabstrahlung des Instrumentes derart darzustellen, dass das Anregungsmuster des Innenohres erkennbar wird. Der abgestrahlte Schall wird also nicht nur durch physikalische Reizgrößen abgebildet, sondern in einem weiteren Schritt durch psychoakustische Empfindungsgrößen. Dazu entwickelten wir eine Analysesoftware, die aus dem gemessenen Schall das spezifische Lautheitsmuster für alle spielbaren Töne berechnet und darstellt. Es werden nicht nur die spezifischen Filtercharakteristika des menschlichen Ohres, sondern sämtliche Maskierungseffekte des Ohres berücksichtigt. Zugrundeliegend hierfür ist die Arbeit des britischen Forschers Brian Moore et.al. (s. Literatur).

Die nebenstehende Abbildung zeigt das Ergebnis am Beispiel verschiedener Einzeltöne, die aus der Übertragungsfunktion der Schallabstrahlung berechnet und anschließend psychoakustisch ausgewertet wurden. Es handelt sich um ein Instrument des Meisters Guarneri del Gesù (Cremona 1733).

Zur Abbildung: Lautheitsdarstellung der ersten acht chromatischen Einzeltöne der g-Saite einer Geige von Guarneri del Gesù (1733). Die schwarzen Punkte mit den senkrechten Linien repräsentieren diejenigen diskreten Pegel (dB) über der Frequenz (ERB), an denen aus der gemessenen Übertragungsfunktion für den jeweils dargestellten musikalischen Ton Schallanteile berechnet wurden. Dies geschieht an den sog. harmonischen Pegel, bestehend aus den Pegelanteilen von Grundton und zugehörigen Obertönen.

Die rote Kurve ist die aus diesen diskreten Schallanteilen berechnete sog. spezifische Lautheit. Sie zeigt, wie stark die feinen Haarzellen auf den verschiedenen Bereichen der Basilarmembran des Innenohres angeregt werden. Die Anregung der Basilarmembran ist bestimmend für die neuronale Aktivität, die mit unserm Hörempfinden korreliert. Wie man durch Vergleich der „physikalischen Information“ (schwarze Punkte) mit der „psychoakustischen Verarbeitung“ (rote Kurve) erkennt, erfolgt eine Anregung der Haarzellen des Innenohres nicht nur an den „physikalisch vorhandenen“ diskreten Einzelfrequenzen, sondern – in Form der Kurve der spezifischen Lautheit – in einem breitbandigen „weichen“ Bereich.

Der blaue Punkt mit gestrichelter Linie bezeichnet den „spektralen Schwerpunkt“ der spezifischen Lautheit. Der spektrale Schwerpunkt ist dadurch definiert, dass die Lautheitsanteile links und rechts von ihm gleich groß sind. Seine Position auf der Frequenzachse (ERB) ist damit ein Maß für das Klangfarbengleichgewicht des jeweils dargestellten musikalischen Tones. (Links = dunklerer Klang, rechts = hellerer Klang).

Wertet man die (rot gezeichnete) Kurve der spezifischen Lautheit aus, so erkennt man wesentliche Merkmale der musikalischen Töne des Instrumentes. Beispielsweise zeigt sich eine deutliche Dominanz des 2. Harmonischen (=erster Oberton über dem Grundton) im Bereich der 1. Lage bis zum h1. Der Grund: Die Frequenz der 2. Harmonischen liegt im Bereich der Korpusresonanzen. Mit dem c1 (3. Finger 1. Lage g-Saite) beginnt sich die Klangfarbe deutlich zu verändern. Es setzt die Wirkung der stark „atmenden“ Helmholtzresonanz ein. Nun kommen dem Grundton starke Schallanteile zu. Der Klang wird "sonor" und „voll“.

Mithilfe unseres Programms zur psychoakustischen Auswertung der Schallabstrahlung von Streichinstrumenten stellen wir schließlich die spezifische Lautheit sämtlicher Einzeltöne in Form eines Konturplots dar. Dabei repräsentieren die Farbwerte die spezifische Lautheit als Funktion der Frequenzgruppen (ERB). Auf der horizontalen Achse ist die Basilarmembran aufgetragen, auf der vertikalen Achse eine chromtische Tonleiter über 60 Halbtöne. Links neben dem farbigen Konturdiagramm ist die Gesamtlautheit dieser 60 chromatischen Töne dargestellt. Sie resultiert aus dem Aufaddieren der spezifischen Lautheitswerte über alle Frequenzgruppen.

Eine derartige psychoakustische Auswertung der Schallabstrahlung einer Vielzahl verschiedener Geigen fördert bemerkenswerte Ergebnisse zutage. Besonders aufschlussreich ist hierbei, dass die Klangunterschiede zwischen verschiedenen Geigen wenig erkennbar wird, wenn die Form der Absolutdarstellung gewählt wird. Erst eine Darstellung der Lautheitsdifferenzen zweier Geigen lässt die Klangunterschiede deutlich sichtbar werden.

Die Komplettdarstellung der Lautheit sämtlicher musikalischer Töne eines Instrumentes ist in nachfolgender Abbildung gegeben. Es handelt sich dabei wieder um die bereits erwähnte Geige von Guarneri del Gesù (1733):

Zur Abbildung: Psychoakustische Gesamtauswertung der Schallabstrahlung einer Geige. Liniendiagramm oben: Physikalische Übertragungsfunktion (FRF). Die FRF bildet die Eingangsgröße für die Berechnungsalgorithmen der spezifischen Lautheit. Farbdiagramm: Spezifische Lautheit (in sone) für 60 Halbtöne (chromatische Tonleiter). Liniendiagramm links: Gesamt-Lautheitspegel (in phon) der 60 Halbtöne.

Erläuterungen:

  1. Als horizontale Achse des Liniendiagramms (oben) ist die Frequenzachse in ERB (Frequenzgruppe 2...37) dargestellt, die der örtlichen Anregung auf der Basilarmembran des Innenohres entspricht. Auf der vertikalen Achse ist der Pegel des Verhältnisses aus Schalldruck zu anregender Kraft aufgetragen. Die einzelnen Resonanzen werden als Resonanzspitzen erkennbar.
  2. Zum Farbdiagramm: Die Farbskala Ls stellt den Wert der spezifischen Lautheit S (in sone) derart dar, dass ein Zuwachs um den Wert 1 jeweils einer Verdoppelung des Lautstärkeeindrucks entspricht: S=2^Ls–k; mit k=Diagrammoffset (große Lautheiten rot, geringe Lauheiten grau).
    Die horizontale Achse (identisch mit horizontalen Achse der Übertragungsfunktion FRF) stellt auch hier die ERB-Frequenzachse mit den Frequenzgruppen 2...37 (graue vertikale Gitternetzlinien) dar; die vertikale Achse repräsentiert die 60 musikalischen Halbtöne der chromatischen Tonleiter (Ton#); schwarze horizontale Gitternetzlinien sind in Quintabständen angeordnet: Ton#1=leere g-Saite; Ton#8=leere d-Saite; etc. Gestrichelte diagonale Gitternetzlinien = Position der Harmonischen: Auf der ersten (leicht gebogenen) Linie links liegen sämtliche erste Harmonischen (Grundtöne); auf der 2. Linie sämtliche zweite Harmonischen etc. (Der erste Harmonische ist der Grundton, der zweite Harmonische der erste Oberton, der dritte Harmonische der zweite Oberton etc. des gespielten Tones).
    Die weißen Punkte im Farbdiagramm geben die Position des jeweiligen spektralen Schwerpunktes der musikalischen Töne an. Die Position in horizontaler Richtung ist ein Indikator für die Klangfarbe des entsprechenden musikalischen Tones (s.o.).
  3. Zum Liniendiagramm links: Gesamt-Lautheitspegel (in phon) für die 60 musikalischen Halbtöne. Die Gesamtlautheit resultiert aus der Addition sämtlicher Teillautheiten der einzelnen Frequenzgruppen (horizontales Aufaddieren der Farbwerte). So lässt sich die „Lautheitsausgeglichenheit“ und die absolute Lautheit eines Instrumentes über den gesamten Spielbereich darstellen.


Am Beispiel des hier abgebildeten Cellos von Domenico Montagnana (Venedig 1740) stelle ich im folgenden eine psychoakustische Analyse des Instrumentes dar.

Montagnana Decke
Montagnana Boden
Montagnana Schnecke
Montagnana F-Loch
Deckenecke
Lack Craquele
Schnecke
Zettel

Vergleicht man die verschiedenen Instrumente der Streichinstrumentenfamilie, so wird bei Cello, verglichen mit der Geige, eine grundsätzliche Leistungsschwäche auf den unteren beiden Saiten erkennbar. Aufgrund der zunehmenden „Schwerhörigkeit“ des Menschen zu tiefen Frequenzen hin und der grundsätzlich mangelnden Resonanzstärke des Cellos in diesem Frequenzbereich erfolgt im Innenohr eine wesentlich geringere Erregung der tiefen Grundtöne als der höheren Grundtöne. Diese Effekte sind sämtlich in die beschriebene psychoakustische Auswertung der Schallabstrahlung einbezogen. (Das „Feuerwerk“ beginnt weiter oben.) Hier ist eine grundsätzliche Problematik des Cellos auszumachen, die für den Konzertbesucher – etwa bei der Darbietung eines Cellokonzertes „gegen“ ein ganzes Orchester – unschwer hörbar wird. Selbst bei Spitzeninstrumenten (wie dem dargestellten berühmten „Isserlis“-Montagnana) ist die erzielbare Schallabstrahlung in diesem tieffrequenten Bereich der beiden unteren Saiten noch zu gering.

Zur Abbildung: Psychoakustische Gesamtauswertung der Schallabstrahlung eines Cellos (Domenico Montagnana 1740). Zur Erläuterung siehe auch Abbildungstext zu obenstehender Abbildung.

Erläuterungen:

  1. Als Farbwert wird der Lautheitspegel Ls darsgestellt. Der Zusammenhang zwischen Lautheitspegel Ls, Lautheit S und Offset k ist gegeben durch: S=2^Ls-k. Somit entspricht der Abstand zweier Farben im Diagramm immer demselben subjektiven Lautheitsunterschied und ein Farbwertabstand von Delta-Ls=1 entspricht einer Verdoppelung bzw. Halbierung der empfundenen Lautheit. In diesen Berechnungen sind die spezifischen Wahrnehmungseigenschaften des menschlichen Gehöres, wie Frequenzabhängigkeit der Lautstärkeempfindung und spektrale Verdeckung, berücksichtigt.
  2. Zum dargestellten Instrument: Die tieffrequente Helmholtzresonanz (erste Resonanzspitze der Übertragungsfunktion FRF bei 3.4 ERB, bzw. 100Hz) erzeugt lediglich eine Erregung beim Spielen des 8. Halbtons (leere g-Saite); siehe hellblauer Pfeil und Kreis. Dagegen ist die Wirkung höherfrequenter Resonanzen vielfältiger: So ist etwa die markante Plattenresonanz im Bereich von 10 ERB (bzw. 444Hz) verantwortlich sowohl für die starken Lautheiten im Grundtonbereich der 31...35 Ton# als auch im Bereich der leeren a-Saite (22. Ton#) für den jeweils stark vorhandenen ersten Oberton. Gleiches gilt für den zweiten Oberton im Bereich der g-Saite (15. Ton#); siehe die drei hellblau eingekreisten Lautheitsgebiete.
  3. Die Resonanzstärke des Cellos in höheren Frequenzgruppen kommt einer Vielzahl musikalischer Töne (Noten) zugute, nämlich dem Grundtonbereich hoher Noten wie auch dem Obertonbereich tiefer Noten. Entsprechendes lässt sich für alle Resonanzen des Instrumentes verfolgen, wenn man von der Resonanzspitze der Übertragungsfunktion FRF vertikal nach unten in das farbige Lautheitsdiagramm geht und dort darauf achtet, welchen der 60 Halbtönen, sei es im Grundtonbereich, also auf der ersten diagonal gestrichelten Gitternetzlinie links (s. Bezeichnung „Grundton“) oder im Obertonbereich, also auf weiter rechts liegenden diagonal gebogenen Gitternetzlinien, die ausgewählte Resonanz zugute kommt.
    Beachte: Aufgrund der (verglichen mit der Geige) geringeren spezifischen Lautheit S des Cellos wurde der Offset k der Abbildungslegende hier von k=2 auf k=2.5 erhöht.

Die nächste Abbildung stellt die entsprechende Einzeldarstellung der spezifischen Lautheit (farbiges Konturdiagramm) für ein Cello von Francesco Gofriller dar. Auch hier zunächst einige Fotos des großartigen Instrumentes.

Gofriller Decke
Gofriller Boden
Gofriller Schnecke

Prinzipiell zeigt sich auch hier eindrücklich die genannte Schwäche des Instrumententyps Cello: Bei allen Violoncelli besteht das grundsätzliche Problem, dass der tieffrequente Bereich der Basilarmembran wenig erregt wird. Dies liegt einerseits am Fehlen wirksamer Resonanzen in diesem Frequenzbereich, anderseits an der zunehmenden „Schwerhörigkeit“ des Menschen zu tiefen Frequenzen hin. Wie anhand des Farbverlaufes der spezifischen Lautheit in diesem Diagramm erkennbar wird, weisen die ersten beiden Quinten (Töne #1...#15) eine geringe Lautheit auf. Dieser Spielbereich ist daher wenig grundtönig, was am Abfall der Lautheit auf der ersten (gestrichelten) Gitternetzlinie des ersten Harmonischen erkennbar ist. Auch liegt die Gesamtlautheit (s. Kurvendiagramm links) um etwa 10 phon unter der ab der d-Saite auftretenden Gesamtlautheit.

Zur Abbildung: Die psychoakustische Gesamtauswertung der Schallabstrahlung eines Cellos (Francesco Gofriller) lässt das grundsätzliche Problem dieses Instrumententypus‘ (etwa gegenüber der Geige) deutlich werden.

Die Oberfläche des psychoakustischen Analysators zur Messung und gehörgerechten Darstellung der Schallabstrahlung von Geigen ist in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. In der Klangpraxis unseres Ateliers erweist sich dieses „Spezialwerkzeug“ als sehr brauchbar zur Auswertung von Parameterstudien im Werdegang von Geigen, Bratschen und Violoncelli.

Es wurden damit zahlreiche Studien der verschiedenen Konstruktionsparameter durchgeführt, die den Klang der Geige maßgeblich bestimmen oder verändern. Diese Parameter waren:

  • verschiedene Stege
  • unterschiedliche Saiten
  • verschiedene Stimmstockstellungen
  • unterschiedliche Hölzer
  • unterschiedliche Griffbrett-Ausarbeitungen
  • Modellunterschiede
  • Variationen der Plattenausarbeitung
Geigensteg schneiden

Die Methode der Schallanalyse eignet sich als ein wirksames Werkzeug zur Kontrolle eines neu entstehenden Instrumentes und als Optimierungstool, sowohl bei der Klangeinstellung wertvoller Instrumente als auch bei der Anfertigung von Klangkopien nach vorgegebenen Referenzinstrumenten.

Anwendung der Klanganalyse im Meisteratelier für Geigenbau Martin Schleske