Klang

Die Resonanzen (Eigenschwingungen) des spielfertigen Instrumentes stellen die objektiven Instrumenteneigenschaften dar, die für den subjektiv empfundenen Klang maßgeblich sind. Welche musikalische Funktion haben die Resonanzen?

Welchen Nutzen hat die Anwendung der Akustikanalyse für den Geigenbau? Der Klang einer Geige ist die Folge einer hochkomplexen Kommunikation zwischen Musiker und Instrument. Der Musiker reagiert bewusst und unbewusst unentwegt auf die Resonanzen seines Instrumentes. Wenn die Frequenzen der gestrichenen Töne (jeweils bestehend aus Grundton und zugehörigen Obertönen) im Instrument „auf Resonanz stoßen“, erregen sie das Instrument in seinen Eigenschwingungen. An exakt diesen Stellen kommunizieren (physikalisch „koppeln“) die Frequenzen der gestrichenen Saite mit den Resonanzfrequenzen des Instrumentes. Jene „Kommunikation“ stellt letztlich die Klangkunst des Musikers dar. Denn in dem ständigen Wechselspiel zwischen erregter Saitenschwingung und den in Schwingung versetzten Resonanzen des Instrumentes formt er den hörbaren Klang.

Welche musikalische Funktion haben die Resonanzen des Instrumentes? Die Resonanzen der Geige „antworten“ auf das Spielen des Musikers in einer vierfachen Weise:

  1. Die Resonanzen verstärken den hörbaren Klang. Denn aufgrund ihrer Schwingungsformen verursachen sie mehr oder weniger wirksame Schalldruckschwankungen der die Geige umgebenden Luft.
  2. Die Resonanzen färben den Klang in einer bestimmten Klangfarbe. Sie verleihen dem Ton seinen charakteristischen „Vokal“. Denn ähnlich den Resonanzgebieten (sog. Formanten) eines Sängers weist die Geige charakteristische Frequenzbereiche mit unterschiedlich stark ausgeprägten Resonanzen auf. Darin ist ihre besondere Nähe zur menschlichen Stimme begründet.
  3. Die Resonanzen bestimmen die Ansprache der Geige. Denn aufgrund ihrer Schwingungsstärke und Dämpfung beeinflussen sie das Schwingungsverhalten der gestrichenen Saite. Sie wirken als ein „Körperschall-Echo“ vom Korpus auf die Saitenschwingung zurück und verändern deren Schwingungswiderstand.
  4. Die Resonanzen bestimmen die Modulierbarkeit und Farbigkeit des Klanges. Denn ihre spektrale Dichte (Anzahl von Resonanzen pro Frequenzbereich) bestimmt, wie häufig und stark die „musikalischen Frequenzen“ der gestrichenen Töne mit Resonanzen des Instrumentes kommunizieren. Damit bestimmen die Resonanzen, wie deutlich musikalische Nuancen von Vibrato und Bogenstrich für den Hörer auch wahrnehmbar werden.

Unsere Untersuchungen zeigten, dass alleine im Frequenzbereich bis 2500 Hz eine gute Geige etwa 60 bis 70 unterschiedliche Resonanzen (Eigenschwingungen) aufweist - jede mit ihrer eigenen Frequenz und Dämpfung, ihrer eigenen Schwingungsform und Schallabstrahlung. Das Resonanzprofil einer Geige beschreibt Summe, Verteilung, Form und Dämpfung dieser Resonanzen in ihren vielfältigen musikalischen Aufgaben. Eine Stradivari weist ein signifikant anderes Resonanzprofil auf als eine ‚Guarneri del Gesù‘ oder als eine einfache Schülergeige. Unterschiede oder auch Mängel in der Spielbarkeit oder Klangfarbe verschiedener Geigen lassen sich an den zugehörigen Resonanzprofilen eindrucksvoll aufzeigen.

Die Resonanzen des Instrumentes sind ihrerseits eine Folge der Masse-Steifigkeitsverteilung der Platten, also eine Folge der handwerklichen Ausführung und kreativen Idee des Meisters. Hier spielen vor allem die Ausarbeitung, die Wölbung und die Holzeigenschaften von Decke und Boden eine wesentliche Rolle.

Hier wird der Nutzen der Modalanalyse deutlich: Als ein akustisches Werkzeug gestattet sie es, die objektiven Instrumenteneigenschaften zu analysieren, die für den subjektiv empfundenen Klang maßgeblich sind: Nämlich die Eigenschwingungen des spielfertigen Instrumentes. Diese Eigenschwingungen bilden die akustische Funktion der Geige.

Die Modalanalyse liefert somit eine sehr anschauliche Antwort auf die Frage: „Wie funktioniert diese oder jene Geige?“. Sie beantwortet nicht die Frage, wie gut eine Geige klingt. Die subjektive Frage nach der Qualität des Klanges muss vom urteilenden Subjekt (Spieler, Zuhörer) beantwortet werden. Die objektive Frage nach den akustischen Ursachen für den Klang kann aber mit Hilfe der Modalanalyse objektiv beantwortet und anschaulich dargestellt werden. Aus diesem Grund ist eine Grundmaxime der Forschung des Meisterateliers für Geigenbau Martin Schleske, die  Begriffe „Akustik“ und „Klang“ klar zu unterscheiden. Beide Begriffe werden häufig fälschlicherweise synonym verwendet.