Unsere Schallanalyse ist eine akustische Meßmethode, die wir als ein hilfreiches Diagnosewerkzeug im Werdegang und bei der Klangoptimierung unserer Geigen, Bratschen und Celli einsetzen. Mithilfe der Schallanalyse wird der vom Instrument abgestrahlte Schall räumlich dargestellt. Es entsteht ein individuelles Resonanzprofil. Das Resonanzprofil liefert sowohl die akustischen Daten für die Analyse der harmonischen Struktur (Pegel der Grund- und Obertöne), als auch die Daten für eine anschließende psychoakustische Auswertung (Erregung des Innenohres). So gelingt es uns, aus der physikalischen Analyse „musikalische Informationen“ zu gewinnen. Diese Informationen werden auf „farbigen Landkarten“ sichtbar gemacht. Hierbei ist die Vergleichsdarstellung verschiedener Instrumente besonders aussagekräftig.
Die Pegelunterschiede der Schallabstrahlung haben ihre akustische Ursache in den Schwingungsformen der Resonanzen. Während diese Schwingungsformen mithilfe der Modalanalyse erkennbar werden (Körperschall-Analyse), kann die akustische Wirksamkeit der Resonanzen mithilfe der Schallanalyse sichtbar gemacht werden (Luftschall-Analyse). Indem also sowohl akustische Ursache als auch akustische Wirksamkeit der Schallabstrahlung des Instrumentes analysiert wird, bilden Modalanalyse und Schallanalyse ein umfassendes Diagnosewerkzeug in der akustischen Geigenforschung.
Resonanzprofile im Vergleich
Das Resonanzprofil bestimme ich durch energetische Mittelung aus 36 Messungen der räumlichen Schallabstrahlung. Der Pegel der Schallabstrahlung (abgestrahlter Schalldruck p über der anregenden Kraft F) wird als Funktion der Frequenz dargestellt. Mit anderen Worten: Die Höhe der Spitzen ist ein Maß für die Resonanzstärke, die Position der Spitzen in horizontaler Richtung ein Maß für die Eigenfrequenz. Die Resonanzen werden somit als einzelne “Gebirgsspitzen” erkennbar.
Das nachfolgende Diagramm zeigt das Resonanzprofil der oben gezeigten Stradivarius anno 1686 im Vergleich mit einer zeitgenössisch gefertigten Geige (Schleske – Op. 105) aus dem Jahr 2008. Das ungemittelte Resonanzprofil zeigt die Strahlkraft sämtlicher Einzelresonanzen beider Instrumente. Die Resonanzen gleichen den Farbtuben, die ein Maler für seine Werke zur Verfügung hat.
Zur Messung: Messung von 6 Übertragungsfunktionen (FRF) mit Abstrahlwinkel (Längengrade) j=0...300°; Dj=60°. Anregung des Instrumentes über Impuls an Stegoberkante-IV: 442x mit Impulshammerpendel. Hammer PCB 086C80. Aufnahme über SPM B&K 2237, FFT-Analysator: Quattro Data Physics; Software SignalCalc ACE.
Je FRF: Setting FRF_NP: Number of Samples = 16384; Bandwidth = 12.8 kHz; Time = 640 ms. FRF Measure: Schalldruck / Kraft. FFT-Window: Response: No; Reference: Impact 7%. Abstand Instrument-Mikrofon = 0,50m. AVG: 36 Mittelungen je FRF, wobei gesamte Vorrichtung (Instrument - Mikrofon) im Raum um jeweils a=10° gedreht wird (Herausmitteln der Raummoden); relative Lage Instrument - Mikrofon dabei für jede FRF unverändert.
L avg. (1/12) = energetisch gemittelter Gesamtpegel (65 Hz...10 kHz) sämtlicher in 1/12 Oktaven (chromatisch) gemittelter Pegel.
Eine Mittelung über eine gewisse Frequenzbandbreite macht den energetischen Verlauf des Resonanzprofils leichter nachvollziehbar. Es entsteht eine Glättung. Unten ist eine entsprechende Pegelmittelung über die Einzelresonanzen in Terzbandbreiten dargestellt.
Nur dank eines akustisch außergewöhnlich guten Klangholzes gelang es, ein Resonanzprofil mit einer derart großen Strahlkraft in ein zeitgenössisches Instrument (rote Kurve) hineinzuarbeiten. Eine hohe Resonanzstärke ist für ein Solisteninstrument eine unabdingbare klangliche Eigenschaft.
Nachfolgend dargestellt: Vergleichsmessung der zeitgenössischen Geige Schleske (Op.105) aus dem Jahr 2008 und einer J.B.Guadagnini (aus dem Jahr 174…), die von einer international renommierten Solistin gespielt wird. Pegelmittelung über die Einzelresonanzen in Terzbandbreiten.
Während eines zweijährigen, von der Europäischen Kommission geförderten Forschungsvorhabens (1999-2000) hatten wir die Möglichkeit, eine Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe die Schallabstrahlung von Geigen analysiert und gehörgerecht dargestellt werden kann. Ziel war es, wesentliche Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen subjektiven Empfindungsgrößen und objektiven Reizgrößen zu erforschen. Einerseits war dafür die Untersuchung subjektiver Beurteilungskriterien nötig, die geeignet sind, den Klang einer Geige zu charakterisieren, anderseits die Erforschung messbarer Größen, die im abgestrahlten Schall enthalten sind. Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über einige Ergebnisse.
Für die Praxis des Geigenbaues hat die psychoakustische Schallanalyse folgende Bedeutung:
- Charakterisierung des Instrumentes hinsichtlich Stärken und Schwächen
- Diagnosewerkzeug bei der Klangeinstellung (Stimme, Griffbrett, Steg etc.)
- Akustischer Vergleich zweier unterschiedlicher Instrumente
- Erweitertes Verständnis für Klangfarbenunterschiede
Beispielhaft für die beschriebene Analysemethode zeigt das folgende Konturdiagramm die Schallabstrahlung einer Geige von Antonio Stradivari aus dem Jahr 1712:
Im ersten Schritt wird die räumliche Schallabstrahlung des Instrumentes gemessen. Die Messung erfolgt über Impulsanregung. Der Computer berechnet daraus die sog. Übertragungsfunktion. So wird das Resonanzprofil der Geige erkennbar. Bereits diese Übertragungsfunktion zeigt charakteristische Resonanzunterschiede verschiedener Geigen. Musikalische Relevanz gewinnt diese Messung erst, indem anschließend das harmonische Spektrum aller spielbaren Töne errechnet und in Form des abgebildeten, farbigen Konturdiagramms dargestellt wird. Hier sind die Resonanzen der Geige durch farbige Höhenschichten (wie die Höhenlinien eines Gebirges) aufgetragen: „Spitzen“ bzw. „Täler“ weisen auf „starke“ bzw. „schwache“ Teiltonanteile der gespielten Töne hin. Attribute wie „hell oder dunkel“ klingend, „ausgeglichen oder unausgeglichen“ etc. werden so objektiv sichtbar.
Zur thematischen Vertiefung der Schallanalyse an Geigen siehe ausführlicher:
Martin Schleske: „Empirical Tools in Contemporary Violin Making: Part II: Psychoacoustic Analysis and Use of Acoustical Tools“. CAS Journal Vol. 4, No.5 (Series II), Nov 2002. Volltext