Lackakustik

Diskussion des akustischen Einflusses der Lackierung auf den Klang eines Streichinstrumentes. Methode und Modalitäten der akustischen Qualitätsbestimmung von Grundierungen und Lackierungen.

Noch drastischer als die Qualitätsschwankungen des Holzes fallen die akustischen Unterschiede verschiedener Lackrezepturen aus. Ein hervorragend gebautes Instrument kann mit einer falschen Grundierung oder Lackierung klanglich zerstört werden. Hier ist vor allem auf die stark bedämpfende Wirkung zahlreicher Substanzen und Rezepturen hinzuweisen. Anderseits kann ein optimaler Lack ein gut gebautes Instrument klanglich noch erheblich veredeln, da der Lack einen Einfluss auf dessen Modulierbarkeit und Ansprache hat.

Angesichts des großen Ausmaßes an klanglichen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Lackierung, haben wir innerhalb der vergangenen Jahre den akustischen Einfluss von über 300 verschiedenen Lackbehandlungen untersucht – stets mit dem Ziel, Rezepturen zu entwickeln und akustisch zu verfeinern.

Durch Messung grundierter und lackierter Probestreifen wird bestimmt, in welchem Ausmaß die einzelnen Behandlungen (Rezepturen, Einzelsubstanzen, Auftragtechniken, Absorptionstiefe etc.) die akustisch relevanten Größen des Holzes verändern. Daraus können Rückschlüsse über den graduellen Nutzen oder Schaden der Behandlung für den Klang des Instrumentes gezogen werden. Auf diese Weise kann die eigene Lackierung und Behandlung optimiert werden.

Grundsätzlich sollte eine bedämpfende Wirkung auf das Holz vermieden werden. Die Dämpfung ist (im Zeitbereich) umgekehrt proportional zur „Nachklingzeit“ der Schwingungen. Eine stark gedämpfte Schwingung klingt „stumpf“, weil nur eine geringe Nachklingzeit gegeben ist. Im Frequenzbereich ist die Dämpfung proportional zur Resonanzgipfelbreite (sog. Halbwertsbreite). Eine gering bedämpfte Resonanz weist im Frequenzbereich einen steilen und hohen Resonanzgipfel auf, eine stark bedämpfte Resonanz einen breiten und flachen Resonanzgipfel.

Die nachfolgende Abbildung zeigt beispielhaft für einen Probestreifen das Ergebnis einer akustischen Lackanalyse. Dargestellt ist die sog. Übertragungsfunktion a/F (f), d.h. Beschleunigung a über der Kraft F als Funktion der Frequenz f. Deutlich erkennbar ist der Resonanzgipfel der ersten Biegeeigenschwingung. Ein Vergleich dieses Resonanzgipfels vor- und nach der Behandlung zeigt die (in diesem Fall ungünstige) Wirkung der hier vorgenommenen Lackierung: Es ist eine deutliche Bedämpfung festzustellen.

Untersuchung der akustischen Wirkung einer Lackierung durch Messung der Übertragungsfunktion eines frei-frei gelagerten Probestreifens und Auswertung der Resonanz der ersten Biegeeigenschwingung. Messung des unbehandelten Streifens: schwarz; Messung des lackierten Probestreifens: rot.

An der Veränderung des Resonanzgipfels ist erkennbar, daß der hier untersuchte Lack eine akustisch ungünstige Wirkung hat:

Die Dämpfung der Resonanz wurde erheblich erhöht. Dies ist daran erkennbar, daß der Resonanzgipfel des lackierten Streifens bei gleichem Pegelabfall eine wesentlich größere Breite (sog. Halbwertsbreite) hat. Die Schallgeschwindigkeit wurde verringert. Dies ist daran erkennbar, daß die Resonanzfrequenz des lackierten Streifens tiefer liegt. Solch ein Lack sollte unter keinen Umständen für die Lackierung einer Geige angewendet werden.

Würde die dargestellte Lackierung nicht nur auf einem Probestreifen, sondern auf dem weißen Instrument angewendet werden, so hätte dies klanglich unerwünschte Folgen: Eine zusätzliche Bedämpfung bedeutet eine Verminderung des akustischen Wirkungsgrades der Resonanzen. Damit wird die Dynamik des Instrumentes, sowie dessen Tragfähigkeit und Lautstärke reduziert.

Weil eine Dämpfungszunahme durch Grundierung und/oder Lackierung darüber hinaus die Pegelunterschiede zwischen Resonanzspitzen und Resonanztälern verringert und die Bandbreite der einzelnen Resonanzen verbreitert, bedeutet ein Dämpfungszuwachs, dass sowohl die Vibratoempfindlichkeit als auch die Modulierbarkeit (Farbigkeit) des Instrumentes reduziert werden. (Zum theoretischen Hintergrund siehe: Schleske, M.: „Empirical Tools in Contemporary Violin Making: Part II: Psychoacoustic Analysis and Use of Acoustical Tools“. CAS Journal Vol. 4, No.5 (Series II), Nov 2002).

In zahlreichen Analysen konnten wir große Unterschiede des Dämpfungsverhaltens verschiedenster Grundierungen und Lackierungen feststellen. Die Streubreite liegt zwischen 0.75 und 3.0 gegenüber dem unbehandelten Holz, das heißt: Einige Rezepturen gestatten eine Entdämpfung des Holzes von bis zu 25%, während andere Substanzen die Dämpfung des Holzes verdreifachen. Dies macht deutlich, dass mit der Wahl der Lackierung der Erfolg des werdenden Instrumentes stehen und fallen kann.

Neben der Veränderung der Dämpfung durch die Lackierung ist die Veränderung der Schallgeschwindigkeit von besonderer Bedeutung. Die Schallgeschwindigkeit resultiert aus dem Verhältnis von Elastizitätsmodul zu Dichte. Der Elastizitätsmodul bestimmt mit den geometrischen Abmessungen der Struktur deren Steifigkeit. Holzbehandlungen (Grundierungen und Lackierungen etc.) können auf den Elastizitätsmodul des Holzes einwirken, indem sie das Fasergefüge festigen oder es schwächen.

In der Praxis stellt sich die Frage, ob die gewählte Behandlung eher zu einer (unerwünschten) Erhöhung der schwingenden Masse führt, da die Substanz lediglich als „belastender“ Inhaltsstoff in die Gefäßen des Holzgefüges eingebracht wird, oder ob die Behandlung zu einer (erwünschten) Erhöhung der Elastizität führt, indem das Fasergefüge gefestigt wird. Diese Frage wird durch unsere Lackanalysen quantitativ beantwortet.

Eine Erhöhung der Schallgeschwindigkeit weist auf eine Überlegenheit des „festigenden“ Einflusses der vorgenommenen Behandlung gegenüber dem „belastenden“ Einfluss hin. Durch die Holzbehandlung sollte keinesfalls eine Erniedrigung der Schallgeschwindigkeit bewirkt werden, denn dies würde bedeuten, dass die Platte bei gleichem Resonanzprofil dicker ausgearbeitet werden muss als es ohne Lackierung der Fall wäre. Einige (ungünstige) Lackierungen stellen diese Forderung an die Plattenausarbeitung. Es wurden auf der anderen Seite aber auch Grundierungen und Lackierungen untersucht, die es gestatten, relativ dünne Plattenausarbeitungen vorzunehmen, da die anschließende Holzbehandlung die Resonanzen (aufgrund der positiven Wirkung der Behandlung auf die Schallgeschwindigkeit) zu höheren Frequenzen hin verschiebt.

Ein Beispiel ist in nachfolgendem Diagramm gegeben: Es wurden zahlreiche Harz- Lösungen in ihrem Einfluss auf die Schallgeschwindigkeit und Dämpfung des Holzes untersucht. Es zeigten sich je nach Harz erhebliche Unterschiede (internes Forschungsergebnis).

Einfluß verschiedener Harz-Lösungen auf Schallgeschwindigkeit (x-Achse) und Dämpfung (y-Achse) von Fichtenholzstreifen (Dicke 3.0mm; Faserverlauf quer zur Streifenlängsrichtung) durch Messung der ersten frei-frei gelagerten Biegeeigenfrequenz. Vergleich der lackierten Holzstreifen (Trocknungsdauer 9 Jahre) gegenüber dem unbehandelten Holz.

Sofern nicht anders bezeichnet, wurden die Harze in einem Masse-Verhältnis von 10:2 = Lösungsmittel:Harz gelöst. Die in der Legende mit [T] bezeichneten Harze wurden in Terpentinöl, die mit [S] bezeichneten in Spiritus gelöst. Gemessen wurden die Änderungen der Schallgeschwindigkeit und der Dämpfung nach einer Trocknungsdauer von 9 Jahren. Trägermaterial waren Fichtenholzstreifen, deren Faserverlauf quer zur Streifenlängsrichtung verlief und deren Dicke 3.0mm betrug. (Bei dünneren Streifen wirkte sich der akustische Einfluss der Harz-Lösungen noch stärker aus).

Auf der horizontalen, mit Δc/c*100% beschrifteten Achse ist der Zuwachs der Schallgeschwindigkeit in Prozent gegenüber dem unbehandelten Holz aufgetragen. Dieser ist umso größer, je weiter rechts die Datenpunkte angeordnet sind. Die Spannweite liegt hier zwischen 0...20% Erhöhung der Schallgeschwindigkeit. Die in der Legende aufgelisteten Harze bzw. Substanzen sind entsprechend des von ihnen verursachten Zuwachses der Schallgeschwindigkeit angeordnet, geführt von Copaivabalsam (+18.8% gegenüber dem unbehandelten Holz).

Auf der vertikalen, mit Δη/η*100% bezeichneten Achse ist der Zuwachs der Dämpfung aufgetragen. Die Spanne liegt hier zwischen +40% (Dämpfungszunahme gegenüber dem unbehandelten Holz) und –40% (Dämpfungsabnahme gegenüber dem unbehandelten Holz). Je weiter die Datenpunkte unterhalb der Null-Linie der Dämpfungsachse positioniert sind, desto stärker ist ihre entdämpfende Wirkung, je weiter oberhalb der Null-Linie, desto größer ist ihre bedämpfende Wirkung.

Die blaue Datenpunkte-Gruppe ist durch eine deutliche Erhöhung der Schallgeschwindigkeit, bei relativ geringer Veränderung der Dämpfung gekennzeichnet; die grüne Datenpunkte-Gruppe weist sich durch eine etwas geringere Zunahme der Schallgeschwindigkeit, gleichzeitig jedoch stärker entdämpfende Wirkung aus; die rote Datengruppe weist eine erhebliche Zunahme der Dämpfung auf; die nicht ausgefüllten Datenpunkte im Bereich der Nullpunkte zeigen eine geringe Veränderung der akustischen Eigenschaften des unbehandelten Holzes.

Obgleich die dargestellten Substanzen noch keine Mischungskombinationen (Lackrezepturen aus verschiedenen Substanzen) darstellen, zeigen sich bereits hier erhebliche Unterschiede von Harz zu Harz. Es ist darüber hinaus als weiteres Ergebnis von Interesse, dass aus der Wirkung der Einzelsubstanzen noch keine Vorhersage über einen aus Mischungskombinationen hergestellten Lack zu treffen ist – die Lackrezepte verhalten sich akustisch anders als ihre Einzelkomponenten.

Testreihen (Messung mehrerer Proben) gestatten eine Optimierung der für den akustischen Erfolg der Lackierung günstigsten Parameter. Derartige Parameterstudien können u. a. Fragen beantworten hinsichtlich:

  • dem akustisch günstigsten Mischungsverhältnis einer Rezeptur
  • der akustisch günstigsten Konzentration
  • der akustisch günstigsten Absorptionstiefe der Substanz
  • der akustisch günstigsten Schichtdicke
  • der akustisch günstigsten Auftragetechnik
  • der akustischen Unterschiede bei unterschiedlich dicker Plattenausarbeitung
  • dem akustisch günstigsten Aufbau (Werden z.B. akustisch ungünstige Zwischenschritte bzw. Zwischenschichten vorgenommen?)
  • der zeitlichen Veränderungen der Lackierung (akustischer Langzeiteinfluss).

Unsere Forschungen zu diesen Fragen konnten beispielsweise zeigen, dass:

  • einige Lacke gegenüber anderen Lacken auf dünnen Holzstärken (2.0mm) eine akustische Überlegenheit zeigen, die jedoch bei dickeren Holzstärken vergleichsweise nicht mehr gegeben ist (3.0mm). Insofern wirkt die vorgenommene Lackierung in ihrem akustischen Nutzen deutlich mit der jeweiligen Plattenausarbeitung des Instrumentes zusammen.
  • bei einigen Lacken die ersten Anstriche einen deutlichen akustischen Nutzen bringen, während nachfolgende Anstriche dieser Lacke den bewirkten Nutzen wieder deutlich relativieren. Demgegenüber wurden Lacke untersucht, deren erste Schichten zwar einen vergleichsweise geringeren akustischen Nutzen brachten, der akustische Nutzen konnte dort jedoch mit weiteren Schichten schrittweise erhöht werden.
  • einige Grundierungen bei oberflächlicher Anwendung akustisch durchaus nützlich sind. Ab einer bestimmten Eindringtiefe beginnen sie jedoch, das Holz akustisch zu ruinieren. Für diese Art von Grundierungen ist damit die Bedeutung eines geeigneten Porenfüllers unter Beweis gestellt.
  • bestimmte Zwischenschichten im Aufbau einer Lackierung äußerst ungünstig sein können. Zwar wirkte sich die Grundierung selbst akustisch günstig aus. Eine anschließende, vor dem eigentlichen Aufbau der Lackschichten aufgetragene Zwischenschicht machte diesen positiven Einfluss jedoch wieder zunichte.

Natürlich könnten noch zahlreiche weitere Studienergebnisse angeführt werden. Die genannten Beobachtungen sind nur Beispiele einiger (interner) Parameterstudien, die zeigen, welche Bedeutung die Kenntnis und der sorgsame Umgang mit den für die Akustik relevanten Parametern der Geigenlackierung hat. Das Rezept an sich ist nur ein kleiner Teil der „Wahrheit“. Für den Geigenbauer stellt die Optimierung dieser Parameter eine seiner wesentlichen klanglichen Kompetenzen dar.

Messmethode

Die zugrundeliegende Meßmethode ist die im Bereich der Körperschall-Messungen etablierte Resonanzmethode. Die Probestreifen werden elektromagnetisch zu Schwingungen erregt. Die Schwingungsantwort wird über ein Messmikrophon aufgezeichnet und ausgewertet.

Das Ergebnis der genannten Messungen ist die quantitative Darstellung der Veränderung der akustisch wesentlichen Größen:

  • Schallgeschwindigkeit
  • Resonanzdämpfung
  • schwingende Masse

Es handelt sich bei diesen Größen um die für den Klang des Instrumentes maßgeblichen Materialeigenschaften. Sie werden je nach Art der Grundierung und Lackierung teilweise erheblich (zum positiven oder negativen) verändert. (Zum theoretischen Hintergrund siehe Artikel: Schleske, M.: „On the Acoustical Properties of Violin Varnish“. CAS Journal Vol.3, No.6, (Series II), November 1998.)

Stereomikroskopie eines Stradivari-Cellos. Ein Blick durch das Stereomikroskop lässt Details der Holzanatomie und des Lackaufbaus sichtbar werden.