Die großen italienischen Altmeister des 17. und 18. Jahrhunderts kommen in unserer Werkstattarbeit auf eine sehr unmittelbare Weise zu Wort. Namen wie Antonio Stradivari, Joseph Guarneri del Gesù oder Domenico Montagnana sind für mich nicht nur historische Vorbilder, sondern gegenwärtige Lehrer. Ihr akustischer Fingerabdruck zeigt eine Genialität, die ein bleibender Ansporn und eine unbestechliche Prüfung meines eigenen Schaffens und Lernens ist. Dennoch stehe ich diesen unangefochtenen Leitfiguren nicht unterwürfig gegenüber. Auch wenn es in meinen Anfangsjahren reizvoll war, mithilfe akustischer Werkzeuge Klangkopien zu fertigen und so das Resonanzprofil eines großen Meisters genauer zu begreifen, habe ich doch im Laufe der Jahre eine eigene künstlerische und klangliche Handschrift entwickelt: Mein eigenes Modell.
Kunst und Wissenschaft
Die Geige, deren Anfänge im frühen 16. Jahrhundert liegen, ist in einer bemerkenswerten Zeit entstanden. Die großen Meister der Renaissance empfanden die Verbindung von Kunst und Wissenschaft als selbstverständlich. Ihre künstlerischen Werke sind ohne ihre wissenschaftliche Beobachtungsschärfe und Neugier, ohne ihr Naturgefühl, kaum denkbar. So waren die Meister der Geigenbaukunst nicht nur Künstler, sondern zweifelsohne zugleich empirische Wissenschaftler. Der Klangkörper Geige kann nur in einem Milieu begnadeter Empirie entstanden sein. Hier waren Entwickler am Werk, die ganz offenkundig in der Lage waren, aus „Versuch und Irrtum“ die richtigen Lehren zu ziehen. Dieser empirischen Kunst verdankt die Geige ihre Geschichte.
Das Spannungsfeld zwischen Kunst und Wissenschaft konnte für die großen Meister niemals ein Widerspruch sein, es wurde vielmehr als belebend und inspirierend erkannt. Der ungeheuren Sinnlichkeit des Geigenklanges, dessen Gesangsähnlichkeit und Modulierbarkeit die menschliche Seele wie kaum ein anderes Instrument berührt, verdankt die Geige ihre herausragende Bedeutung im Werk der großen Komponisten. Erst im 19. Jahrhundert verkam die Kunst des Geigenbaus zum industriell „revolutionierten“ bloßen Handwerk, das seinen Bezug zu den ursprünglichen Quellen intuitiven und empirischen Schaffens verloren hatte.
Tradition und innovation
Die Tradition des Geigenbaus war eine Geschichte unermüdlicher Versuche und Irrtümer. Klangliche Verbesserungen wurden beibehalten, Verschlechterungen verworfen. Eine Generation gab ihre Erfahrungen an die nächste weiter. Diese Tradition zu konservieren, hieße, mit ihr zu brechen, denn das innere Leben der Tradition bestand seit jeher in der ständigen Weiterentwicklung des Instrumentes. Als die Geige ihre Blüte erreichte, war sie bereits das Ergebnis jahrhundertelanger empirischer Forschung.
Auch wenn ich der gewaltigen Vorarbeit der großen Meister Wesentliches verdanke, bleibe ich in ihrem Werk nicht stehen. Die alten Meister brachten die Geige in ihre Blütezeit. Nach der Blüte aber kommt die Frucht. Ich sehe heute diese fruchtbare Zeit für neue Geigen gekommen, die ein größeres Spektrum an solistischer Kraft und Klangfarbe entfalten, und nicht wenige große Musiker bestätigen es in ihren Konzerten. Ihr Zeugnis bestätigt mein unermüdliches Schaffen und Entwickeln. Es ist jenes ursprüngliche Wechselspiel aus Kunst und Wissenschaft, in dem meine Leidenschaft als Geigenbauer liegt: Man kann Trennungen nur überwinden, wenn man beide Sprachen spricht.